Corona und Unternehmensnachfolge: Stefan Herburg und Ingo Kemmer im Interview

Stand 19.01.2021

Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr viele Planungen von Augenoptikern durcheinandergewirbelt. Etwa auch die Unternehmensnachfolge? Wie wirkt sich die Krise auf die Interessen von Verkäufern und Käufern aus? Und wie entwickeln sich die Verkaufspreise der Unternehmen? Wir haben bei unseren OptiChange-Experten Stefan Herburg und Ingo Kemmer nachgefragt.

Seit knapp vier Jahren bewertet und vermittelt die AOS Unternehmensberatung GmbH aus Dortmund auch im Rahmen unserer Online-Plattform OptiChange.de. Dabei begleiten AOS-Geschäftsführer Stefan Herburg und sein Kollege Ingo Kemmer den komplexen Übernahme- und Übergabeprozess und unterstützen die Parteien ganzheitlich in allen Fragen, erstellen alle relevanten Verträge und Dokumente, moderieren die Gespräche und Verhandlungen und stimmen alle notwendigen Fragen und Punkte auch mit externen Partner ab.
Welche Erfahrungen unsere Experten in den vergangenen Corona-Monaten gemacht hatten, lesen Sie im folgenden Interview.

Interview:

Wie hat sich die Corona-Pandemie 2020 auf die Unternehmensnachfolge bei Augenoptikern und damit auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Stefan Herburg: Unabhängig, ob Geschäftsverkäufer, Expansionswilligen oder Existenzgründer – in der Phase des ersten Lockdowns, also März / April, haben wir eine gewisse Zurückhaltung und Verunsicherung der Augenoptiker gespürt. Nachdem der Frühjahrs-Lockdown aber vorbei war, haben wir relativ schnell gemerkt, dass sich die Krise nicht negativ auf das Angebot und die Nachfrage ausgewirkt hat. Im Gegenteil, wir vermerken sogar tendenziell eine etwas höhere Nachfrage als auch ein höheres Angebot. Denn viele sehen für sich noch bessere Chancen, jetzt aktiv in einen Übergabeprozess einzusteigen.

Was meinen Sie mit besseren Chancen für den Einstieg? Gilt das für Verkäufer oder für Käufer?

Herburg: Für Beide. Wenn man die Käuferseite betrachtet: Bei manchen jungen Augenoptikern im Angestelltenverhältnis hat Corona ein Umdenken bewirkt. Denn trotz aller Arbeitsplatzsicherheit in der Augenoptik hat die Pandemie gezeigt, dass durch Kurzarbeit und Gehaltseinbußen doch nicht alles sicher ist. So haben sie den Entschluss gefasst, sich in / nach der Pandemie selbständig zu machen. Da in der Regel der Übergabeprozess – vom ersten Gespräch bis hin zur Übergabe – rund ein Dreivierteljahr bis zu einem Jahr dauert, behandeln wir gerade viele Projekte, die im Frühjahr seitens junger Augenoptiker angestoßen wurden.
Auch von der Verkäuferseite sind noch einige dazu gekommen. Wenn man schon einmal mit dem Ausstieg geliebäugelt hat, war und ist die Pandemie für viele der letzte Kick, die Übergabe jetzt anzupacken.

Der Markt bleibt also optimistisch. Im Vergleich zu anderen Branchen keine Selbstverständlichkeit, oder?

Herburg: Das liegt daran, dass sich zum einen die Augenoptiker schnell auf neue Herausforderungen einstellen können. Zum anderen zeigt sich die Augenoptik-Branche wieder einmal vergleichsweise resistent gegenüber externen Schocks. Das war schon bei der Finanzkrise vor über 10 Jahren so und jetzt auch bei Corona.

Ingo Kemmer: Das haben auch die Banken erkannt. Da heutzutage fast jeder Existenzgründer wegen geringem oder gar keinem Eigenkapital eine Vollfinanzierung benötigt, sind das eigentlich schlechte Voraussetzungen für die Bankgespräche. Aber bei den Finanzierungsmöglichkeiten für Existenzgründer in der Augenoptik gibt es aktuell keinerlei Nachteile! Außer vielleicht eine gewisse Zeitverzögerung, da die Banken sehr stark mit Corona-Hilfen befasst sind. Wichtig ist und bleibt eine professionelle Vorbereitung auf die Bankgespräche mit aussagekräftigen Unterlagen und Berechnungen.

Die Bankberater sehen anhand der Zahlen, dass die Augenoptik im Vergleich zu anderen Branchen stabil läuft und die Finanzierungsplanungen ohnehin langfristig angelegt sind. Und: Dass die Umsätze dank Wiederkaufrhythmus und verschobener Käufe nach einer Krise schnell wieder steigen können. Die Krise hat noch einmal bewiesen, wie gut die Stammkundenbindung von vielen Augenoptikern ist.

Woran liegt es, dass mittelständische Augenoptiker besser durch die Krise gekommen sind?

Herburg: Natürlich spielt der Branche eine gewisse Systemrelevanz in die Karten, denn die Augenoptikgeschäfte waren und sind auch während des aktuellen „Lockdowns“ geöffnet. Viel spannender ist aber unsere Erfahrung der vergangenen Wochen und Monate. Gut behauptet haben sich gerade traditionelle Augenoptiker, die folgende Kriterien erfüllten: hohe Qualität, nicht unbedingt absolute 1-A-Lage oder kleinere Städte und Gemeinden und damit weniger Lauf-, dafür mehr Stammkundschaft. Diese Geschäfte mit intensiver Beratung und abseits der Hauptpassantenströme waren so gefragt, weil die Läden nicht hochfrequentiert sind. Dazu kommt, dass man als Kunde häufig einen Termin vereinbaren und sich in Ruhe beraten lassen konnte. Diese Betriebe haben sich im Sommer gut erholt. Und einige davon konnten sogar den Umsatz von 2019 überschreiten. Aber es ist erfreulich, wie gut die Branche insgesamt durch die Krise gekommen ist.

Hinterlässt die Corona-Krise ihre Spuren beim Verkaufspreis der Unternehmen?

Herburg: Der Verkaufspreis richtet sich unter anderem nach den Unternehmenswerten. Die Unternehmenswertermittlung ist dabei ein normiertes Verfahren, hier werden mehrere Jahre betrachtet. Damit kann man sagen: Erstens, ein schwaches Jahr kann den Unternehmenswert nicht deutlich drücken, wenn die Vorjahre gut und stabil waren. Zweitens: Ein guter Gutachter hat die Aufgabe, nicht nur zu schauen, wann und wie stark der Umsatz gefallen ist, sondern welche Gründe dies hat und wie sich der Umsatz zwischen den Pandemiewellen im Frühjahr und jetzt im Winter entwickelt hat; also wie konjunkturresistent das Unternehmen ist. Wir gehen davon aus, dass gut aufgestellte Unternehmen keinen geringeren Kaufpreis nach der Krise haben werden. Zumal der Preis sich auch an der Nachfrage orientiert. Und diese ist nach wie vor da.

Was meinen Sie mit gut aufgestellten Unternehmen?

Kemmer: Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass ein Augenoptiker mit einer guten Positionierung und einer guten Stammkundenbasis damit rechnen kann, dass viele Kunden ihre Käufe nachholen werden. Denn, wenn man Stammkunden hat, dann gehen diese mit dem Unternehmen durch die Pandemie. Das ist eine Kundenbindung, die auch bei einem Unternehmensverkauf wertrelevant ist. Für uns einer der wichtigen Faktoren, die den Verkaufspreis beeinflussen.

Können Sie das noch genauer ausführen?

Kemmer: Unter einer guten Positionierung verstehen wir auch die Glaubwürdigkeit eines Gesamtkonzepts. Dazu gehört: Welche Produkte/Leistungen und Services bietet der Augenoptiker an, was für ein Sortiment führt er? Wie sieht der Ladenbau aus? Wie ist Vertrieb und Marketing gestaltet? Ist das alles auf seine Zielgruppe ausgerichtet? Und wie differenziert sich der Optiker damit von seinen Wettbewerbern? Solange das eine „runde“ Geschichte ist und es auf eine Marke einzahlt, kann man von einer guten Positionierung sprechen. Und dann hat man ein Gesamtkonzept, was einem der Kunde auch abnimmt – in guten und in schlechten Zeiten.

Was raten Sie jetzt Optikern in Zeiten der Corona-Krise, die ihre Nachfolge planen: Jetzt erst recht verkaufen oder noch warten?

Herburg: Keines von beiden. Die Betriebsübergabe- und -übernahme hat ja deutlich mehr Aspekte als eine Krise. Das hat mit einer Lebensplanung und Lebensentscheidung zu tun. Die Inhaber müssen sich selbst fragen: Wie möchte ich mein Leben gestalten und wie sind meine finanziellen Ressourcen? Da würde ich mich in welche Richtung auch immer nicht von der Pandemie verunsichern lassen, die hoffentlich in absehbarer Zeit zu Ende geht.
Kemmer: Was es aber gibt, sind die anfangs schon erwähnten Augenoptiker, bei denen Corona mit allen zusätzlichen Herausforderungen dafür gesorgt hat, die bereits bestehenden Planungen für eine Übergabe endgültig einzuleiten – da diese ohnehin bereits in Planung war.